Schließe die Augen und denke an Kolumbien - was kommt dir sofort in den Sinn? Kaffee! Seit den 1950er Jahren wirbt die Federación Nacional de Cafeteros aktiv für das Land als führenden Kaffeeproduzenten. Doch kolumbianische Kaffees haben unsere Herzen nicht nur durch eine erfolgreiche Marketingkampagne erobert, sondern glänzen auch durch ihre Qualität und Vielfalt. Kaffee wird in Kolumbien in über 20 Regionen angebaut, in denen malerische Landschaften mit steilen Bergen, üppigem Grün und Vogelgezwitscher für eine heitere Atmosphäre auf den Kaffeefarmen sorgen. Allerdings haben viele Gebiete in Kolumbien nicht immer diese ruhige Atmosphäre genießen können.
Während eines Großteils des letzten Jahrhunderts wurde Kolumbien von bewaffneten Konflikten heimgesucht. Was als Konfrontation zwischen liberalen und konservativen Parteien begann, eskalierte zu einem Krieg, an dem die Regierung, paramilitärische Kräfte, Guerillagruppen und Gangsterbanden beteiligt waren. Dieser langwierige Konflikt hatte für die Kolumbianer äußerst negative Folgen. Die Zahlen sprechen für sich: über 260.000 Menschen verloren ihr Leben, Tausende werden vermisst, und viele werden Opfer von Gewalt und Unsicherheit.
Nach zahlreichen Versuchen begann 2012 ein Friedensprozess zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC, einer der bekanntesten Guerillagruppen. Dieser Prozess gipfelte in einem endgültigen Abkommen, das im November 2016 unterzeichnet wurde. Nach jahrzehntelangen Unruhen ist es immer noch nicht leicht, Frieden zu schaffen und die wirtschaftliche Entwicklung in den betroffenen Gebieten voranzutreiben.
An dieser Stelle kommen Unternehmen wie Urbania ins Spiel. Urbania wurde 2015 gegründet und eröffnete mehrere Coffeeshops in ganz Medellin. Seit seiner Gründung konzentriert sich das Unternehmen darauf, die Kaffeeproduktion für positive gesellschaftliche Veränderungen zu nutzen und arbeitet vor allem in gefährdeten Gemeinden und mit Opfern des bewaffneten Konflikts. Dies geschieht im Rahmen ihres PAZ-Projekts (PAZ heisst Frieden auf Spanisch), von dem wir seit letztem Jahr Kaffee kaufen.
Es ist nicht leicht, die Komplexität der kolumbianischen Nachkriegssituation und die Bemühungen zur Förderung eines positiven Wandels in den betroffenen Regionen, einschließlich der Kaffeeanbaugebiete, zu verstehen. Das gemeinsame Gespräch mit Julian Gamboa, Impact Manager und Mitbegründer von Urbania, gab uns einen tieferen Einblick in diese Problematik und die Rolle von Initiativen wie dem PAZ-Projekt.
Q&A
Julian — lass uns einfach anfangen! Erzähl uns bitte etwas über dich selbst. Wie bist du in die Welt des Kaffees gekommen?
Ich komme aus Bogotá, lebe aber seit 8 Jahren in Medellín. Meine Reise im Kaffee begann mit der Gründung von Urbania im Jahr 2015. Zuvor war ich kulturelle Veranstaltungen organisiert. Nach einigen langen Gesprächen mit meinem Geschäftspartner über das innovative Konzept von Coffeeshops, welches über das klassische Qualitätsversprechen hinausgeht und Projektarbeit mit einbezieht, habe ich mich entschlossen in die Kaffeewelt zu wechseln.
Bitte erzähl uns mehr über Urbania. Was ist das Ziel eurer Gründung gewesen?
Unser Ziel war es, ein Projekt- und Geschäftsmodell aufzustellen, das ausschließlich mit kleinen Kaffeefarmern zusammenarbeitet. Unser Ziel war es, dass sie durch die Produktion von Spezialitätenkaffee höhere Gewinne erzielen. Diese Vision führte zur Gründung von Urbania. Später erkannten wir, dass der Export entscheidend war, um den positiven Effekt unseres Projektes noch weiter zu verstärken. Das größere Volumen würde es uns ermöglichen, unseren Einfluss zu vergrößern, mit mehr Produzenten zusammenzuarbeiten und die Schutzzonen ebenfalls zu erweitern.
Ist denn genau dieser Fokus — die Zusammenarbeit mit kleinen Kaffeeproduzenten — das, was Urbania von anderen Kaffeeexporteuren unterscheidet?
Nein, das war nur die Geburtsstunde von Urbania. Wir haben uns seitdem darauf konzentriert, mit Opfern des bewaffneten Konflikts in Kolumbien zu arbeiten. Unser aktuelles Projektdesign ermöglicht eine "dreifache Wirkung" auf den Schlüsselbereichen Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftsnachhaltigkeit.
Wir suchen nicht nach den qualitativ besten Kaffees in Kolumbien. Stattdessen stellen wir sicher, dass die Produzenten, mit denen wir zusammenarbeiten, sich als gute Landwirte und Unternehmer entwickeln. Allerdings ist hier die Qualität natürlich auch von extremer Bedeutung. Nur hierdurch können sie ihre Farmen, insbesondere in den stark vom Konflikt betroffenen Regionen, erfolgreich entwickeln.
Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien ist unglaublich komplex, mit verschiedenen bewaffneten Gruppen, politischen Ideologien sowie sozioökonomischen Faktoren im Spiel. Könntest du uns mehr darüber erzählen? Wie hat sich der Konflikt auf das Leben der Kolumbianer ausgewirkt, einschließlich derjenigen, die in der Kaffeeproduktion tätig sind?
Klar, ich werde versuchen mich kurz zu fassen.
Der Konflikt begann in der Mitte des letzten Jahrhunderts mit der Bildung der Guerrillas in Kolumbien nach der kubanischen Revolution. Eine der prominentesten Gruppen war die FARC, die im Wesentlichen gegen die Regierung kämpfte.
Während dieser Zeit wurde Kolumbien als demokratisches Land nur von zwei Parteien regiert. Alternative Ideologien bzw. Parteien waren von den Wahlen ausgeschlossen. Diese Ausgrenzung verursachte im Wesentlichen die Guerillabewegungen, die das etablierte politische System herausfordern wollten.
Später, etwa in den 1980er Jahren, mit dem Aufkommen des extrem lukrativen Drogenhandels, mutierten die Guerillas vom politisch motivierten Freiheitskämpfer zum blutrünstigen Drogenhändler. Nur hierdurch konnten sie ihre militärischen Operationen weiter finanzieren. Dies führte zur Bildung paramilitärischer Gruppen, die den Konflikt nur weiter verkomplizierten. Die Beteiligung mehrerer Akteure — Guerillas, die kolumbianische Armee und Drogenhändler — schuf eine bürgerkriegsähnliche Situation. Ländliche Gebiete, in denen sich die Guerillas (FARC und ELN) oft etablierten, waren am stärksten betroffen. Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die Kaffeeindustrie, da die Guerillas gesamte Kaffeeanbauregionen infiltrierten was zu Produktionsstörungen führten. Viele Kaffeebauern mussten aus Angst vor Unsicherheit und Gewalt mit ihren Familien ihre Farmen verlassen und sie den Guerrilleros hinterlassen.
Nach dem Friedensabkommen im Jahr 2016 suchen viele der Opfer immer noch nach einem Übergang ins "zivile" Leben. Opfer sind nicht nur die Vertrieben sondern auch minderjährige Jugendliche, die von den Guerrillas zwangsrekrutiert wurden, sowie auch Menschen, die ihre geliebten Verwandten oder auch ihr gesamtes Hab und Gut aufgrund der Milizen verloren haben.
Was ist denn das PAZ-Projekt genau? Und wie unterstützt es die vom bewaffneten Konflikte betroffenen Communities?
Das PAZ-Projekt begann 2017 nach dem Friedensabkommen zwischen der Regierung und der FARC. In fast allen PAZ-Projekten sind wir Partner von größeren Friedensinitiativen die wiederum von den Vereinten Nationen oder anderen internationalen Organisationen wie USAID unterstützt werden. Sie suchen nach Partnern, die sich mit Kaffee auskennen und die hierdurch aktiv Kaffeebauern unterstützen können.
Es gibt zum Beispiel extrem betroffene Gemeinden wie Briceño in Antioquien und Genova in Quindío, die die seitens der Regierung als problematisch identifiziert worden sind und nun priorisiert den Übergang aus der „Post-Konflikt"-Phase schaffen müssen. Ein weiteres Projekt ist mit einem Farmer-Verband in der Provinz Tolima. Auch diese Region war stark vom Konflikt betroffen. Arbeitslosigkeit und knappe wirtschaftliche Ressourcen führen oft dazu, dass einzelne Personen sich in illegale Aktivitäten wie Kokaanbau, illegalem Bergbau, Drogenhandel und Wildtierhandel verstricken.
Unser Ziel ist es mit dem PAZ-Projekt den betroffenen Menschen einen Übergang hinzu legalen und nachhaltigen Lebensgrundlagen möglich zu machen. Anstatt Koka anzubauen, können Bauern auf den Anbau von Kaffee umsteigen. Wir suchen nach besseren und wirtschaftlicheren Möglichkeiten für diese Personen.
Also, das PAZ-Projekt verfolgt im Kern zwei Ziele. Erstens wollen wir die Profitabilität der Kaffeeproduzentengemeinschaften verbessern. Zweitens wollen wir die landwirtschaftliche Praktiken mit geringeren Umweltauswirkungen fördern.
Wie erreicht das PAZ-Projekt diese Ziele?
Wir trainieren Farmergruppen in den sogenannten Best Agricultural Practices. Die Themen reichen von der Kaffeeernte, über die Nachbearbeitung sowie die allgemeine Bewirtschaftung ihrer Farmen. Aus diesen Gruppen identifizieren wir die führenden Farmer die eine hohe Qualität bereits schon haben und aber auch das Potenzial, Spezialitätenkaffees zu produzieren. Sie übernehmen eine Führungsrolle für die benachbarten Farmer. Wir besuchen auch ihre Farmen, verkosten ihre Kaffees und geben ihnen Feedback, wie sie ihre Kaffees verbessern können.
Die bessere Qualität und die nachhaltig produzierten PAZ-Kaffees erhalten einen Bonus über den aktuellen Marktpreisen.
Wo genau werden heute PAZ-Kaffee-Projekte derzeit durchgeführt? Bitte berichte uns mehr über die beteiligten Farmer.
Das PAZ-Projekt hat in der Tolima Provinz begonnen und hat hier seinen Nukleus. 50 Farmer haben den Verband gegründet und heute sind es rund 120. Die Mehrheit von ihnen sind Frauen, und über 90% sind Opfer des bewaffneten Konflikts.
Heute hat PAZ auch Projekte in Antioquien und hat Quindío und Valle del Cauca erreicht. Alle Projekte in diesen Gemeinschaften haben unterschiedliche Bestandteile. Zum Beispiel könnten wir ein PAZ Tolima oder ein PAZ Blend Antioquia aus verschiedenen Regionen haben, aber sie alle haben Friedensprojekte.
Insgesamt haben wir mit rund 400 Familien gearbeitet, hauptsächlich in Tolima und Antioquien. Es handelt sich um Kleinbauern mit einer durchschnittlichen Farmgröße von 2 Hektar. Sie bauen traditionelle Varietäten wie Castillo und Colombia an. Andere hingegen produzieren auch Bourbon und Geisha Microlots.
Wie sehen die Zukunftsaussichten aus?
Wir blicken optimistisch auf das Jahr 2024. Wir glauben aus tiefstem Herzen an den Wert und das Wachstumspotenzial von Projekten wie PAZ. Das Wetterphänomen El Niño macht klar welche Auswirkungen der Klimawandel auf Qualität und Produktivität hat. Während PAZ-Projekte sich in neue Gebiete ausdehnen, konzentrieren wir uns weiterhin darauf, Farmer zu unterstützen und mit ihnen gemeinsam Qualität und Nachhaltigkeit voranzutreiben. Die Führungsaufgabe lokaler Farmer ist in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, und wir sehen eine ausgezeichnete Gelegenheit, Frauen und junge Menschen als wirkungsvolle Leader innerhalb dieser Initiativen zu stärken.
*Interview übersetzt aus dem Spanischen